Staffel 2 - Episode 1 - Zukunftsmut
Shownotes
Gesprächspartnerin Susanne Waldow-Meier, Institut Futur der FU Berlin: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/erziehungswissenschaft/arbeitsbereiche/institut-futur/ueber_uns/MitarbeiterInnen/Susanne-Waldow-Meier.html
Institut Futur: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/erziehungswissenschaft/arbeitsbereiche/institut-futur/index.html
Masterarbeit von Susanne Waldow-Meier: „Zwischen Zukunftsangst und Zukunftsmut - Zur Rolle von Emotionen in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisen und antizipierter Unsicherheit von Zukunft: https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/37197/iF-SchriftenreiheSozialwissenschaftliche%20Zukunftsforschung03-22-Waldow-Meier_Zwischen%20Zukunftsangst%20und%20Zukunftsmut.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Publikationen des Institut Futur: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/erziehungswissenschaft/arbeitsbereiche/institut-futur/publikationen/Nationales-Monitoring-zu-Bildung-fuer-nachhaltige-Entwicklung/index.html
Lehrmaterialien „BNE - Umgang mit Unsicherheit lernen“: https://bne-umgang-mit-unsicherheit-lernen.de/
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Zukunft gestalten - der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung
Staffel 2 - Zukunftsmut
Michael Lobeck im Gespräch mit Susanne Waldow-Meier vom Institut Futur, Berlin
ML: Willkommen bei „Zukunft gestalten - der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung“, dem Podcast des Paritätischen Bildungswerks Hessen e.V. zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Mein Name ist Michael Lobeck und ich spreche hier mit Menschen, die Erwachsenenbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung neu denken und gestalten. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist nicht nur ein etwas sperriger Begriff. Häufig kommt die Bildung auch etwas verkopft daher. Warum es für ErwachsenenbildnerInnen sinnvoll ist, neben dem Denken auch das Gefühl zu berücksichtigen?
W-M: Darf ich ein Beispiel geben, das mich sehr beeindruckt? Ein konkretes Beispiel von einem Ethiklehrer aus einer Berliner Schule, wo ich zu einem Seminar war. Und das war kurz nach dem 7. Oktober letzten Jahres. Und ich habe das Konzept vorgestellt, dann meinte er, ja, klingt alles irgendwie theoretisch gut, aber praktisch können Sie sich nicht vorstellen, was hier gerade los ist. Die Schulgemeinschaft dividiert sich auseinander, in den Klassen entstehen Feindschaften. Und wenn wir uns im Unterricht versuchen, darauf zu verständigen, wer recht hat, dann eskaliert die Situation. Ich weiß nicht, wie wir hier jetzt dialogisch wertschätzend arbeiten sollen.
Das war sozusagen unser erster Kontaktpunkt. Und dann hatte ich Vorschläge gemacht, wie es vielleicht möglich sein könnte, auch Emotionen mit einzubeziehen. Dann haben wir uns ungefähr zwei Monate später gesehen und dann hat er den Kollegen berichtet, wisst ihr was, das ist ganz erstaunlich gewesen. Also wir kamen aus einer Situation, wo wir versuchten zu klären, wer hat denn hier mehr Recht? Und dann haben wir das aufgehört. Und dann habe ich die Schülerinnen und Schüler gefragt, also es war eine Mittelstufe, sagen wir mal, so 14-/ 15-Jährige, dann habe ich sie gefragt, wie es ihnen eigentlich geht mit der Situation. Und dann ist eine Wendung im Klassenraum passiert so nach und nach, weil klar wurde, es gibt ein Ich, ein Du und ein Wir im Sinne von: Wir sind alle total verzweifelt, wir sind alle traurig, wir wünschen uns Frieden für unsere Landsleute.
ML: Das ist Susanne Waldow-Meier vom Institut Futur an der FU Berlin. Sie forscht dazu, welchen Einfluss Emotionen auf Zukunftsdenken und die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisen nehmen können.
W-M: Wie hängt denn Bildung für nachhaltige Entwicklung und sozialer Zusammenhalt zusammen, soziale Kohäsion? Habe ich den Eindruck, eben genau durch solche Dialoge, in denen ich ein Ich, ein Du und ein Wir entdecken kann, kann sozialer Zusammenhalt entstehen, weil ich feststelle, mir geht es nicht allein blöd, ich bin nicht allein verzweifelt, das teilen wir. Und Mälkki sagt, wenn Sie diesen Zustand herstellen, der geteilten Emotionen, der geteilten Wahrnehmung, dann kehrt schon Ruhe ins Nervensystem ein. Das ist schon der erste große Erfolg. Das unterschätzen wir, glaube ich enorm.
ML: Wer Mälkki ist und wie und warum wir uns professionell Emotionen kümmern können und sollten, erfahren Sie in dieser Episode. Viel Spaß dabei!
ML: Liebe Hörerinnen und Hörer, herzlich willkommen zur zweiten Staffel des Podcast „Zukunft gestalten - der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung“. Heute spreche ich mit Susanne Waldow-Meier vom Institut Futur an der Freien Universität Berlin. Das Institut Futur gehört zum Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. Frau Waldow-Meier arbeitet dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin und beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie Menschen mit Veränderungen, die ihre bisherigen Annahmen über die Welt in Frage stellen, zum Beispiel: die Klimakrise, gut umgehen können. Guten Tag, Frau Waldow-Meier. Habe ich das halbwegs richtig dargestellt?
W-M: Ja, guten Tag, Herr Lobeck, vielen Dank. Ich freue mich über unser Gespräch. Und ja, das haben Sie richtig dargestellt. Zum Institut Futur würde ich gerne noch kurz ergänzen. Das Institut Futur trägt, man könnte sagen, den Untertitel Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung und die Arbeit dort wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Und wir sind beauftragt, unter anderem mit dem nationalen Monitoring BNE unter der Leitung von Gerhard de Haan. In diesem Kontext werden vielfältige Studien umgesetzt, die sich mit den Bedingungen und Entwicklungen von BNE in Deutschland befassen. Und ja, mich interessiert besonders, wie Menschen auf Zukünfte blicken, welche Emotionen uns im Moment begleiten in aktuellen Zukunftsszenarien und wie wir Menschen, junge Menschen, aber eigentlich auch erwachsene Menschen gut begleiten können, Zukünfte konstruktiv zu gestalten, in die Hand zu nehmen. Ja.
ML: Okay. Ja, wunderbar. Sie haben Ihre Masterarbeit mit dem schönen Titel: „Zwischen Zukunftsangst und Zukunftsmut“ versehen. Besonders der Zukunftsmut hat mich angesprochen. Im Untertitel heißt es dann „Zur Rolle von Emotionen in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisen und antizipierter Unsicherheit von Zukunft“. Da habe ich direkt gedacht, das kann für Erwachsenenbildung sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance sein, sich auf die Emotionen einzulassen, die bei Krisen entstehen. Können Sie uns ein bisschen was zu Ihrer Masterarbeit erzählen, vielleicht die Hauptthesen oder wie Sie überhaupt darauf kamen?
W-M: Sehr gerne. Dazu sagen möchte ich einleitend, und das ist nicht unerheblich, ich habe die Masterarbeit geschrieben im Kontext der Covid-19-Pandemie. Schon vor Covid waren wir ja alle konfrontiert mit vielfältigen globalen Krisen, die Weltlage war komplex, widersprüchlich und dann kam noch diese Pandemie hinzu. Insofern war sehr omnipräsent, dass Emotionen, Werte und Haltungen ja auch im Kontext der Pandemie sehr kontrovers an die Oberfläche gespült wurden, dass Menschen sich auseinanderdividiert haben. Und das hat mich zusätzlich zu meinem Interesse grundsätzlich über Transformation nachzudenken, dann noch weiter motiviert hinzuschauen, welchen Effekt haben diese starken Emotionen in Anbetracht einerseits der aktuellen Lage, aber auch mit Blick auf Zukünfte. Helfen sie uns, Zukünfte konstruktiv zu sehen? Oder gibt es einfach so sehr dystopische Vorstellungen und eben auch Emotionen dazu und wir sind in so einer Abwärtsspirale und es gibt eigentlich gar keinen richtigen Ausgang? Also das zum Hintergrund, dass ich dachte, eigentlich wissen wir zu den ganzen notwendigen Transformationen viel, der Wandel findet aber nicht statt. Und Emotionen scheinen hier eine tragende Rolle zu spielen. Können wir genauer verstehen, welche sie spielen oder welches Potenzial sie hätten, im besten Sinne? Und das wäre mein Zukunftsmut. Dieser Begriff ist dann entstanden im Laufe der Arbeit. Wie können wir Menschen unterstützen, Mut zu fassen? Genau, dass zum Hintergrund vielleicht.
Und dann haben Sie gefragt nach Hauptthesen oder Erkenntnissen. Es ist im Grunde eine Literaturarbeit. Das heißt, ich habe nicht Daten erhoben, sondern mir Theorien angeschaut und sie in Verbindung gesetzt, analysiert und versucht, neue Gedanken zu generieren. Und einerseits komme ich sozusagen aus der kritischen Zukunftsforschung und dann hat mich aber mit Blick auf die Transformation, habe mich transformative Lerntheorien interessiert. Also ich habe mich gefragt, gibt es Hinweise, dass Theorien, die uns was darüber sagen, wie wir auch in sehr herausfordernden Situationen unser Denken neu organisieren können, konstruktiv organisieren können, wie wir das auch demokratisch tun können.
Genau, ich kannte die transformativen Lerntheorien am Anfang noch nicht so tief, wie ich sie jetzt kenne und hatte aber den Eindruck, da gibt es Antworten. Und habe also kritische Zukunftsforschung mit transformativen Lerntheorien in Verbindung verbracht. Genau. Vielleicht muss ich das noch sagen, transformative Lerntheorien sind eigentlich ein Konzept aus der Erwachsenenbildung der 1980er, /- 90er Jahre aus Südamerika, das muss man vielleicht im Hinterkopf haben. Es ging eigentlich um einen stark sozial emanzipatorischen Ansatz. Und heute taucht er durchaus auch in der Bildung für nachhaltige Entwicklung auf. Und es geht im Wesentlichen darum, eine Kritik an der Gegenwart als Ausgangspunkt zu nehmen, um alternative Formen des Denkens und Handelns zu entwickeln. Das schien mir interessant. So das vielleicht zum Hintergrund und dann kann ich Ihnen natürlich sehr viel Genaueres zu den Inhalten erzählen.
ML: Ja, wunderbar, danke für die Einordnung. Ich fand spannend, als ich jetzt zugegebenermaßen die Arbeit nicht intensiv gelesen habe, also die ist öffentlich, die werden wir auch in den Shownotes verlinken, sodass alle Hörerinnen und Hörer sich das auch in Ruhe noch mal anschauen können. Ich fand den Aspekt interessant, wie sie geschildert haben, dass wir normalerweise in unserem Alltag immer versuchen, vor dem Hintergrund unserer Erfahrung, was jetzt nicht überraschend ist, die Welt zu verstehen. Und das uns das in der Regel auch ganz gut gelingt. In der Regel, wenn wir Wasser in ein Glas schenken, passiert das so, wie wir das beim letzten Mal auch geschafft haben. Das ist alles ganz einfach. Schwierig wird es dann, wenn wir plötzlich Erfahrungen machen, die anders sind. Also, die nicht mit unseren Erfahrungen und Deutungsmustern übereinstimmen. Wenn Sie da noch mal schildern können, vielleicht, was passiert dann oder was können wir dann tun? Also jetzt, wenn es so was Großes ist wie der Klimawandel oder wenn plötzlich uns gesagt wird, wir dürfen jetzt nicht mehr Auto fahren oder als jetzt mal als schlichtes Beispiel, was passiert dann und wie können wir damit umgehen?
W-M: Ja. Ich komme zurück auf den Urvater der transformativen Lerntheorien, das ist Mezirow. Und er nennt dieses, was Sie beschrieben haben, unsere Welt verstehen und uns erstmal gut zurechtfinden im Alltag, das nennt er ein Bewegen innerhalb von Referenzrahmen. Das heißt also, wir machen Erfahrungen in unserem Leben, wir lernen, wie wir die Welt sehen und verstehen können. Das ist unter anderem stark geprägt dadurch, in welcher Familie wir groß geworden sind, in welchen Kulturen, nicht nur national, vielleicht auch Schulkulturen und so weiter. Also wir haben sozusagen Brillen, durch die wir die Welt sehen, verstehen und eine Art, wie wir die Welt denken und fühlen oder tatsächlich auch Rahmen innerhalb derer wir die Welt denken und fühlen. Und dann eben, wie Sie sagen, dann passiert aber Leben im Leben und es tauchen Ereignisse auf, von denen wir feststellen, die können wir nicht ohne weiteres in dieses System einbinden. Also, Lernen grundsätzlich ist ja Erweiterung unseres Repertoires. Aber jetzt ist das Ausschlaggebende oder das Besondere an dieser Erfahrung, dass sie uns insofern irritiert, weil wir feststellen, so wie ich meinen Referenzrahmen ja bisher gebaut habe, meine Weltsicht, meine Weltdeutung, so passt das eigentlich nicht mehr. Und zum Beispiel, können das Nachrichten über Überschwemmungen im Ahrtal oder in Spanien sein. Es kann aber auch die Eskalation in Nahost sein oder so. Also ich hatte vorher ein Bild von einer Situation, von einer Lage und die entgleist. Und ich merke, dass mein Gefüge, mein mentales Gefüge, meine Vorstellung auch ins Wanken gerät.
Wenn wir das neurobiologisch betrachten, ist das erst mal ein unangenehmer Zustand für uns, weil wir eigentlich nach Aufrechterhaltung unserer Referenzrahmen streben. Weil eben, wie Sie gesagt haben, dann verstehen wir die Welt, dann ist sie für uns handhabbar, dann ist klar, wie der Hase läuft. Und durch diese Irritation unserer Weltdeutung entsteht ein Zustand der Unsicherheit und auch Destabilisierung im Grunde. Ich weiß, das Alte taugt irgendwie nicht mehr so richtig, so wie ich es mir bisher gedacht habe. Ich weiß aber auch noch nicht, wie ich es neu verstehen könnte. Und allermeist tauchen in diesem Zustand Emotionen auf, und zwar allermeist erstmal unangenehme, also Verunsicherungen, manche Menschen haben Angst. Also, das ist verschieden in uns angelegt.
Und eine neue Theoretikerin aus den transformativen Lerntheorien ist Kaisu Mälkki und sie guckt sich sehr besonders diese Momente an und die Emotionen, die da auftauchen. Sie nennt diese Emotionen edge emotions - im Sinne von Schwellen, also edge als eine Schwelle und diese Emotionen als Hinweise darauf „Achtung, hier verlässt du dein gewohntes Terrain und jetzt beginnt etwas Ungewohntes. Du kommst in einen Zustand des fließenden Unbehagens.“, so nennt sie das, fluid discomfort. Und der ist nicht sehr angenehm, eben weil die Welt plötzlich nicht mehr so verstehbar ist, nicht eindeutig, nicht klar handhabbar.
Und das ist ihrer Meinung nach, und so können wir es jetzt sozusagen auf unsere ganze Makrosituation beziehen, dass wir uns in so unsicheren Zeiten befinden, ist per se nicht schlecht, sondern sie sieht es so, eigentlich ist das der Beginn einer historischen Chance. Und zwar insofern, als wir feststellen können, alte Bedeutungen, alte Referenzrahmen, alte Interpretationen scheinen nicht mehr geeignet, wir müssen neue entwickeln, und zwar gemeinsam. Also der Schlüssel, der sich dann ergibt, ist Dialog: gemeinsames Suchen, Ausleuchten. Warum haben wir hier Irritation? Wie siehst du es? Aha, wie sehe ich es? Also, dass wir im Grunde gemeinsam unsere Referenzrahmen ausleuchten, auch unsere blinden Flecken, uns zuhören, uns hinterfragen und so in einem wertschätzenden, erforschenden Dialog gemeinsam neue Perspektiven entwickeln. Und das geht wirklich nur gemeinsam. Keiner kann die Lösung für diese Unsicherheit vorab haben, sondern die Chance und was sie auch meint, historische Chance, liegt eben darin, fließendes Unbehagen tolerieren lernen und ins Gespräch kommen. Also das auf Ihre Frage, wie können wir damit umgehen? Also Emotionen tauchen auf, wir sind in unangenehmen Zuständen. Und ihrer Meinung nach Toleranz für dieses Unbehagen wäre essenziell und Dialog. Das finde ich eine sehr gute Nachricht, auch wenn das jetzt nicht banal in der Umsetzung ist.
ML: Ja, das finde ich sehr, sehr interessant. Vor allen Dingen auch, was Sie sagen zu dem Punkt, dass man das nicht gut allein machen kann. Das gibt, glaube ich, den Teil, den muss man allein machen. Man muss dafür die Aufmerksamkeit haben und sich ein bisschen schulen, das mitzukriegen und so was. Aber dann ist es hilfreich, darüber auch ins Gespräch zu kommen. Sodass man dann gemeinsam gucken kann, okay, wie passt das mit dem Referenzrahmen oder wie müssen wir den neu justieren oder ist er ganz anders plötzlich als vorher oder wie können wir damit umgehen? Wie könnten wir denn jetzt diesen Umgang mit Emotionen, professionell in der Erwachsenenbildung nutzen? Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder die andere sich sagt, ach, das weiß ich ja nicht, ob ich jetzt bei meinen zehn Kursmitgliedern die Emotionen so alle hören möchte. Haben Sie da Ideen, wie das gehen kann, ohne dass die jetzt alle eine Runde Psychologie studieren oder eine Therapeuten-Ausbildung machen?
W-M: Ja, ich habe Ideen und entwickle sie auch noch weiter. Hier an der Stelle ist mir wichtig, vorab zu sagen, wenn wir über den Einbezug von Emotionen in Bildungsarbeit sprechen, dann geht es nicht darum, therapeutische Arbeit zu ersetzen. Therapeutische Bedarfe bleiben natürlich in therapeutischen Händen. Was wir aber tun können, in Bildungsarbeit ist, eine emotionssensiblere Gesprächs- und Reflexionskultur zu unterstützen. Und mein Eindruck ist, der speist sich aus verschiedenen Fortbildungserfahrungen im letzten Jahr, die ich auch zum Thema dieser Masterarbeit gegeben habe. Ich war in Gesprächen mit BildnerInnen, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche und habe da auch sehr viel gelernt von den Realitäten und auch den Befürchtungen. Und was ich höre, ist, dass viele BildnerInnen vor allen Dingen in formaler Bildung, also in der Schule, aber auch im non-formalen Bereich sagen, also in der BNE über Emotionen zu reden, das war jetzt bisher nicht so en vogue. Wir haben gedacht, wir informieren die Leute gut und wenn sie dann gut informiert sind, dann handeln sie auch anders. Und die Emotionen waren so implizit, sag mal unausgesprochen mit im Raum. Und es stellt sich heraus, je mehr die Menschen wissen, desto mehr handeln sie leider nicht, sondern möglicherweise sogar im Gegenteil. Es breitet sich Ohnmacht aus, Trauer, Zukunftsangst, also negative Emotionen.
Und jetzt ist die Frage, bin ich bereit dazu, diese zum Thema zu machen? Oder mich auch als bildende Person zu hinterfragen? Bin ich vielleicht selber von Affekten ergriffen oder von der ganzen Lage, wie sie gerade ist. Solche Sorgen oder Vermutungen habe ich gehört, wenn ich dieses Fass aufmache, wie kriege ich das denn wieder eingefangen? Was ist denn, wenn da Menschen anfangen zu weinen oder ähnlich starke Reaktionen kommen? Dann kann ich das doch eigentlich gar nicht professionell händeln, die Situation. Und dazu würde ich sagen, ja, wir leben in einer Kultur, in der der Umgang mit Emotionen, auch das Verbalisieren von Emotionen an vielen Stellen nicht zur Routine gehört, nicht in die Tradition gehört. Das ist eine neue Möglichkeit und ich glaube, eine neue Herausforderung und gleichzeitig eine Riesenchance.
Es gibt verschiedene Facetten von emotionaler Kompetenz. Hier fällt mir jetzt die Veröffentlichung von Kollegen, von Grund und Holst ein, die da auch nochmal ein genaues Augenmerk gelegt haben. Welche Facetten kennen wir denn da? Und dann wäre eine erste grundlegende Facette überhaupt mal sozusagen wahrzunehmen, was in mir los ist. Da geht es noch nicht darum, das zu regulieren oder möglicherweise auch noch nicht darum, das zu verbalisieren. Das heißt, es wäre die Frage, ist es möglich, dass wir uns auf so einer ersten Stufe Zeit nehmen, wahrzunehmen, was ist, ohne, dass wir da uns groß davor fürchten, weil, es ist ja sowieso da.
Und ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, damit, zum Beispiel so kleine Visualisierung zu Emotionen anzubieten. Also in meinem Fall sind es so kleine Karten, wo kleine Monster drauf sind, die bestimmte Zustände darstellen. Und dann steige ich so in ein Seminar ein und frage die Menschen, wie sind sie heute hier? Auch nicht mal genau, wie geht es ihnen mit der Situation, sondern wie sind sie heute hier? Und dann gucken die Menschen sich diese Karten an, manche schmunzeln. Und da habe ich wie ich finde, schon sehr aufschlussreiche Runden erlebt. Menschen sind sehr gerne bereit zu sagen, also ich wäre der. Und manche finden auch noch Worte dafür, warum das so ist. Und das ist ein erster, sehr niedrigschwelliger Schritt aus meiner Erfahrung, wo ich bisher nicht erlebt habe, dass eine Situation durch die Decke geht, zum Beispiel. Sondern es ist mal Raum dafür und viele nehmen das sehr wohltuend auf. Das, was eh da ist, darf gesagt werden, darf gelten und nebeneinanderstehen. Das ist sehr divers auch. Manche sagen, ach ist doch alles prima, ich freue mich auf das Seminar und andere finden die Situation anders und das bleibt erstmal stehen. Und das ist für mich ein erster wertvoller Schritt. Meiner Erfahrung nach kann der - wirklich gut - gelingen. Also das ist ein erster Vorschlag. Ja.
ML: Und dann macht es ja wahrscheinlich meiner Vorstellung nach Sinn, dass man diesen Raum auch so gestalten muss, dass auch der Eindruck entsteht, ja, das kann hier auch Platz haben und auch eine gewisse Sicherheit ausstrahlen, dass man hier über die Dinge, die man spricht, auch gut gemeinsam nachdenken kann und das aber auch nicht das gleich draußen weitererzählt wird, also so Basics, die ja oft, finde ich, zu so Lernsettings auch dazugehören. Und dann ist es ja wahrscheinlich wichtig, wenn wir diese Emotionen, die uns dann eben auch irritieren vielleicht, mit denen wir noch nicht so zurechtkommen, weil sie eben noch nicht in unseren Rahmen passen, mit dem wir sonst die Welt verstehen, dann auch in irgendeiner Form noch darüber hinaus, also, über dieses erst mal selber mitbekommen und spüren, zum Thema machen können. Und miteinander dann da vielleicht auch ins Gespräch kommen, um zu schauen, okay, was ist das, was uns hier Sorge, Angst, Unsicherheit macht? Und wie gehen wir dann damit um? Wie kann ich mir diese Verbindung vorstellen, von der Emotion, die wir vielleicht äußern und miteinander ins Gespräch kommen, zu dem inhaltlichen Thema?
W-M: Ja, gute Frage. Das macht Spaß mit Ihnen zu sprechen. Ich komme noch einmal zurück auf die gute Atmosphäre und auch noch einmal auf Kaisu Mälkki. Sie spricht viel in Metaphern. Ich finde ihre Texte auch wirklich sehr inspirierend zu lesen. Und sie sagt zu dieser Atmosphäre, die können wir uns eigentlich vorstellen, wie ein gutes Gewächshaus, also es braucht einen guten Grund, es braucht Wärme und es braucht Licht. Und damit beschreibt sie eine Haltung, die von der bildenden, in dem Fall der leitenden Person ausgeht. Also es braucht eine Person, die sagt, ich stelle diesen Raum zur Verfügung. Ich halte auch diesen Raum. Was jetzt hier genau passiert, das muss ich nicht leiten, also leiten im Sinne von kontrollieren, sondern ich halte diesen Raum und es ist ein, wie sie sagt, ein safe enough place, ein genug sicherer Ort, könnten wir sagen. Also wir wissen, das Thema wird deshalb nicht gemütlicher, aber der Raum ist sicher genug, dass ich das hier mitteilen kann. Und das ist eine Qualität, die sie dort beschreibt, die ich bei Carl Rogers zum Beispiel in der klientenzentrierten Gesprächsführung auch wieder finde. Also da geht es eigentlich um eine Haltung einer Begleitperson. Und das finde ich ist der erste Schritt, sich zu überlegen, bin ich das, bin ich das gerne, bin ich das heute, mache ich das eh schon 20 Jahre oder gäbe es da was, was ich in mir noch weiter kultivieren möchte, dass ich so etwas anbieten kann und so eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen und halten kann. Das wäre der erste Schritt.
Und dann zu der Verknüpfung mit dem Material. Dazu würde ich gerne kurz erzählen, wir haben am Institut ein Lehrmaterial entwickelt, wo es genau darum ging, Schülerinnen und Schülern eine Möglichkeit anzubieten, einen Umgang mit Unsicherheit zu lernen, und zwar kognitiv und emotional verknüpft. Und ich erzähle ganz kurz, was es damit auf sich hat, Ihnen dann die Frage zu beantworten. In diesem Material geht es um Zielkonflikte, die wir im Biodiversitätsdiskurs kennen. Also zum Beispiel Windkraft versus Artenschutz oder andere Zielkonflikte, wie Bienensterben - Landwirtschaft. Also Situationen, in denen es kein richtig und falsch geben wird, die kontrovers sind, widersprüchlich und in denen das Potenzial für Unsicherheit sehr, sehr groß ist. Und in diesem Material geht es uns darum, und ich glaube, dass die Idee, die wir da entwickelt haben, die lässt sich auch in Erwachsenen-Settings übertragen. Die Idee ist, wir schauen dann auf eine, sag ich mal, ja, auch eine reale Situation, einen realen Konflikt, den legen wir zugrunde und dann schauen wir aber eingangs, okay, das ist jetzt hier mal die Lage, die ist irgendwie schwierig. Wie schätzen wir das spontan ein und wie geht es uns, wenn wir damit konfrontiert sind, zum Beispiel erster Schritt. Um dann festzustellen, okay, so viele Perspektiven gibt es auf die Situation, ist ja interessant, dann vertiefen wir das mal thematisch inhaltlich. Und dann haben wir einen zweiten Block aufgebaut, wo es darum geht, wirklich auch mal zu recherchieren, sich diese Vielfalt etwas zu ergründen und wirklich sozusagen im konkreten Thema auch inhaltlich weiterzuarbeiten.
Und dann ging es um diesen, wie ich vorhin gesagt habe, wertschätzenden Diskurs. Dann gab es einen dritten Block, wo es darum geht, jetzt kommen wir mal in einen Dialog, wir bringen mal diese Perspektive in den Dialog. Es muss nicht erstmal meine eigene sein, sondern vielleicht vertrete ich einen Bauern oder einen Imker oder wie auch immer. Und dann versuchen wir, dieses Ausleuchten der Referenzrahmen und der Möglichkeiten im wertschätzenden Dialog zu üben.
Ich habe das mit einer sechsten Klasse ausprobieren dürfen und ich muss Ihnen sagen, ich war beeindruckt und hatte große Freude zu sehen, wie auch SechstklässlerInnen in der Lage sind zuzuhören, rückzufragen, ihre Meinung zu äußern und wirklich in so einen Dialog zu gehen, wo die Vielfalt möglich war. Also es hat mir wirklich Freude gemacht und ich habe mir so eine Art von Debattenkultur für unseren Bundestag gewünscht in dem Moment. Es kamen wenig Beleidigung vor in diesem Dialog. Ich fand das sehr konstruktiv. Und dann wieder zu schauen, okay, jetzt haben wir das alles gehört und wie schätzen wir es jetzt ein? Wie würden wir uns entscheiden? Wie würden wir handeln wollen, aufgrund welcher Werte und aufgrund welcher Emotionen? Also immer wieder die Verschränkung zu machen zwischen Inhalt, konkretem Thema, konkretem Problem vielleicht und dann eine Reflexionsebene damit zu verschränken. Und meine Erfahrung war, dass das gut händelbar ist. Da ist uns nichts die Ohren geflogen, weil es die Rückbindung an ein konkretes Thema hatte. Ja, ich habe bisher gute Erfahrungen damit gemacht.
ML: Ja, das finde ich interessant, wie Sie das sagen. Dadurch, dass Sie das halt auch auf was Konkretes beziehen, übernimmt das zwei für mich zwei Funktionen. Das eine wird ja, „kleiner“ weiß ich gar nicht, aber so was wie: „Ich kann ja von außen drauf. /Also, es ist nicht in mir, sondern es ist da irgendwo.“ Und damit kann ich mich eben auch über die verschiedenen Perspektiven dann austauschen, die da drauf sind. Das ist, so ein ganz konkreter Punkt. Und es ist eben auch nicht so eine Luftdiskussion. Also gleichzeitig hat es eben was Ernsthaftes. Und das ist ein realer Punkt. Es hat dann Bedeutung. Und ich finde diese Kombination, ganz überzeugend, um damit umzugehen. Ja.
W-M: Ich hatte auch den Eindruck, sozusagen das Thema oder auch der Zielkonflikt, sagen wir mal, der ist eigentlich, ich nenne es mal das Vehikel, um in den Austausch von Perspektiven zu kommen, in die Vertiefung von Sichtweisen. Und damit gibt es dann aber einen konkreten Anker, an dem wir Perspektiven, Werte, Emotionen reflektieren können und es üben können. Dabei ist es kein Luftschloss, sondern hat einen starken Realitätsbezug und dennoch ist es persönlich, weil ich gefragt bin, wie ich die Situation sehe, einschätze. Und das halte ich für einen Weg, der auch in der Erwachsenenbildung, glaube ich, sehr fruchtbar sein kann. Also, sozusagen dieser rote Faden oder diese Verknüpfung, Auseinandersetzung mit einem Thema und Reflexion von Werten, Emotionen, kann ich mir sehr gut vorstellen und bin neugierig darauf, das weiterzudenken, zu probieren. Erfahrungswerte aus der Praxis mit einzubinden. Ich glaube da können wir einfach viel gewinnen.
ML: Ja, das ist ja auch eine schöne Kombination. Also nicht nur von dem, was Sie vorhin schon mal sagten, das Kognitive und das Emotionale zusammenzubringen, sondern ja auch genau dieses Ich und Du und Wir zusammenzubringen. Das finde ich das Spannende. Weil, natürlich kann ich ja immer entscheiden, wie viel gebe ich jetzt da rein. Das ist ja meine Hoheit. Ich werde ja nicht gezwungen, irgendwas zu erzählen, aber ich habe eben die Möglichkeit und kann das genau wie Sie sagen, ich kann das üben. Und danach, wenn ich es öfter geübt habe, werde ich dann sicherer da drin und kriege da besser ein Gefühl für und kann es eben auch dann in anderen Situationen anwenden, die ich jetzt nicht eingeübt habe, wenn es gut läuft, sozusagen.
W-M: Das ist die Hoffnung. Und spontan fällt mir ein zu dem Ich und Du und Wir. Also das ist vielleicht auch noch interessant. Herr Mezirow war von Habermas inspiriert, also, der Theorie des kommunikativen Handelns und auch des kommunikativen Lernens. Habermas war auch von Martin Buber inspiriert, das dialogische Prinzip. Also, wir sehen so Fragmente immer wieder aufscheinen. Und was ich interessant finde, wo ich jetzt in der letzten Zeit auch darüber nachgedacht habe, wie hängt denn Bildung für nachhaltige Entwicklung und sozialer Zusammenhalt zusammen, soziale Kohäsion? Habe ich den Eindruck, eben genau durch solche Dialoge, in denen ich ein Ich, ein Du und ein Wir entdecken kann, kann sozialer Zusammenhalt entstehen, weil ich feststelle, mir geht es nicht alleine blöd, ich bin nicht alleine verzweifelt, das teilen wir. Und Mälkki sagt, wenn Sie diesen Zustand herstellen, der geteilten Emotionen, der geteilten Wahrnehmung, dann kehrt schon Ruhe ins Nervensystem ein. Das ist schon der erste große Erfolg. Das unterschätzen wir, glaube ich, enorm.
Darf ich ein Beispiel geben, das mich sehr beeindruckt? Ein konkretes Beispiel von einem Ethiklehrer aus einer Berliner Schule, wo ich zu einem Seminar war. Und das war kurz nach dem 7. Oktober letzten Jahres. Und ich habe das Konzept vorgestellt, dann meinte er, ja, klingt alles irgendwie theoretisch gut, aber praktisch können Sie sich nicht vorstellen, was hier gerade los ist. Die Schulgemeinschaft dividiert sich auseinander, in den Klassen entstehen Feindschaften. Und wenn wir uns im Unterricht versuchen, darauf zu verständigen, wer Recht hat, dann eskaliert die Situation. Ich weiß nicht, wie wir hier jetzt dialogisch wertschätzend arbeiten sollen.
Das war sozusagen unser erster Kontaktpunkt. Und dann hatte ich Vorschläge gemacht, wie es vielleicht möglich sein könnte, auch Emotionen mit einzubeziehen. Dann haben wir uns ungefähr zwei Monate später gesehen und dann hat er den Kollegen berichtet, wisst ihr was, das ist ganz erstaunlich gewesen. Also, wir kamen aus einer Situation, wo wir versuchten zu klären, wer hat denn hier mehr recht? Und dann haben wir das aufgehört. Und dann habe ich die Schülerinnen und Schüler gefragt, also es war eine Mittelstufe, sagen wir mal, so 14-/ 15-Jährige, dann habe ich sie gefragt, wie es ihnen eigentlich geht mit der Situation. Und dann ist eine Wendung im Klassenraum passiert so nach und nach, weil klar wurde, es gibt ein Ich, ein Du und ein Wir im Sinne von: Wir sind alle total verzweifelt, wir sind alle traurig, wir wünschen uns Frieden für unsere Landsleute.
Es ist schwer auszuhalten. Also es gab geteilte Emotionen, obwohl die Perspektive auf was historisch vielleicht richtig ist, sehr verschieden war. Und er meinte, ab dem Zeitpunkt hat sich die Stimmung in der Klasse verändert. Nicht, dass sie plötzlich alle einer Meinung waren. Natürlich nicht. Aber es gab einen Moment der gegenseitigen Anerkennung und des Respekts. Das hat mich bewegt zu hören, muss ich Ihnen sagen. Und ich habe gedacht, ich wünschte mir, dass uns das gelingt im Sinne auch des Erhalts unserer Demokratie, dass wir im Gespräch bleiben. Dass es uns gelingt zuzuhören, auch wenn wir wirklich fundamental anderer Meinung sind. Ich habe mal den Begriff zuletzt gehört der radikalen Höflichkeit, kam aus dem progressiven Zentrum. Ich dachte mir, ja, wenn es uns gelingt radikal höflich in diesen Gesprächen zuzuhören und das Ich, das Du und das Wir zu entdecken, dann wäre Bildung für nachhaltige Entwicklung ein Ergebnis sozialer Kohäsion. Und demokratischer Diskurs wäre die Prozessqualität. Das wäre doch so gut. Also, es passiert auch ganz viel. Das weiß ich, das findet schon statt, aber vielleicht sollten wir darauf ein Augenmerk richten. Ja, also das beschäftigt mich zurzeit.
ML: Ja, ich finde das ja ein sehr schönes Beispiel, wenn ich den Raum bekomme, also sowohl für mich selbst mir den nehmen kann, aber auch ihn bekomme, um darüber nachzudenken, wie es mir denn damit geht, und das austauschen kann. Wenn das klappt, glaube ich auch, dass dann einfach diese Verbindung viel einfacher möglich ist. Weil wir, glaube ich, da alle merken, dass uns ja im Kern immer ähnliche Gefühle umtreiben. Also auf der Ebene sind wir ja eigentlich sehr anschlussfähig, sag ich mal. Egal, auch wenn wir gegensätzliche Meinungen haben, kennen wir alle, dass es Wut gibt, dass es Angst gibt, dass es Sorge gibt. Und da, glaube ich, können wir gut andocken aneinander, auch wenn wir ganz unterschiedliche Positionen zu irgendwelchen Inhalten vertreten.
Das ist noch mal so ein Punkt, ich weiß nicht, der taucht bei Ihnen auch in der Masterarbeit auf, aber wir haben ihn mehr oder weniger ja auch schon angesprochen, diese emotionale Kompetenz sozusagen, also sowohl mir selbst gegenüber als auch in Kontakt mit anderen. Das ist ja im Endeffekt was, was wir da einüben, damit sicherer zu sein, also auch nicht gleich aus dem Raum zu laufen, wenn mal jemand wütend ist oder wenn jemand traurig ist, sondern zu sagen, ja, das ist jetzt so und dann machen wir damit was. Und das finde ich nochmal spannend für den Umgang genau mit diesen Gefühlen, wie Sie das vorhin nannten, diese, wie hießen sie? Edge-Emotions? Also, die Schwellengefühle sozusagen, die für uns den Hinweis geben, da ist gerade was. So, und vielleicht auch erst mal nur den Hinweis, der uns dann ermöglicht, da hinzuschauen. Und ich glaube, wenn wir das in Bildungskontexten schaffen, also, ob in der Erwachsenenbildung oder in der Schule oder wo auch immer zu kultivieren, dass wir aufmerksam werden für solche Hinweise. Dann ist, glaube ich, ist es leichter möglich, mit uns in Kontakt zu kommen als auch mit anderen.
W-M: Also, ja, ich stimme Ihnen zu. Mir fällt so ein kurzer Sinnspruch ein: „Wer innehält, erhält Innenhalt.“ Soll nicht platt klingen, sondern anschließen an das, was Sie sagen. Also wenn es uns gelingt, in wirklich schwierigen Situationen und die Weltlage ist in vielen Situationen schwierig oder Themen, die auch im Unterricht zur Sprache kommen oder in Bildungs-Settings sind nicht banal. Also, wenn wir uns den Moment gönnen, innezuhalten und vielleicht diese erste Stufe erstmal nehmen, wahrnehmen, was ist. Wenn wir es dann möglicherweise sogar noch benennen können, also im Sinne von: Benenne es und damit zähmst du es dann schon ein bisschen. Dann können wir die Wucht, die emotionale Wucht auch schon dadurch etwas schmälern, weil es erstmal sein darf, dass diese Emotionen da sind. Wir müssen mit denen noch nichts machen, sondern wir nehmen sie wahr, wir lassen sie gelten, möglicherweise benennen wir sie. Dann wäre schon sehr viel anders als zu der Praxis jetzt, wo wir merken, sie sind da, oh Gott, schnell damit in die Tonne und Deckel drauf. Und dann brodelt da die Energie die ganze Zeit vor sich hin sowieso oder denkt Menschen ab oder lässt uns auf bestimmte Art und Weisen reagieren, in Streit geraten. Und mein Eindruck ist, wir brauchen jetzt, also in Anbetracht der Krisen, die vor uns stehen, brauchen wir alle Kräfte eigentlich für Kooperation, Konstruktion, Lösungsideen und auch Freude. Wirklich Freude auf die Zukunft. Am besten viel weniger Angst. Das soll nicht heißen, dass die Situationen keine Angst machen, und ich schließe mich mit ein. Aber der Modus sich dieser Krisenhaftigkeit konstruktiv zu nähern wäre in meinen Augen ja in einem ersten Schritt, das anzuerkennen, was ist. Das wäre die Basis.
Und genau, emotionale Kompetenz kann gelernt werden. Wir haben jetzt nicht alle Zeit, das zu studieren, und das ist auch gar nicht nötig. Das können wir im Dialog miteinander. Und ich würde sagen, die Zeit drängt, dann können wir in kleinen Schritten anfangen und können da schon viel beratschen. Würde ich einfach sehr zu ermutigen nach meinen bisherigen Erfahrungen ist das tatsächlich berührend, gehaltvoll und konstruktiv.
ML: Ja, vielleicht trägt ja unser Gespräch ein bisschen dazu bei, dass diejenigen, die das hören, dass auch ansprechend und anregend finden, sich da ein paar mehr Gedanken und Gefühle zu machen. Wir würden auf jeden Fall in die Shownotes zu unserem Gespräch die Masterarbeit verlinken. Da sind ja auch nochmal Literaturpunkte drin von Herrn, wie hieß er, Merizow?
W-M: Mezirow, glaube ich, spricht man ihn im Amerikanischen aus.
ML: Mezirow und von Frau Mälkki und noch anderen natürlich. Wir können ja auch nochmal gucken, weiß jetzt nicht, ich habe das jetzt nicht geprüft, ob das alles frei zugänglich ist oder ob es auch frei Zugängliche gibt. Aber das werden wir auf jeden Fall verlinken, die von Ihnen angesprochenen Lernmaterialien verlinken wir auch. Da kann man ja auch nochmal reingucken. Das schaffen ja Erwachsenenbildner*innen bestimmt, die zu transferieren in ihren Kontext. Das muss ja nicht schon immer alles fertig sein. Kann man auch nochmal was selber machen, auch eine schöne Sache. Haben Sie noch was, wo Sie denken, das hat er jetzt gar nicht gefragt, da haben wir noch gar nicht drüber gesprochen, ist aber eigentlich noch ganz wichtig in dem Thema, was Sie den Hörerinnen und Hörern noch gerne mitgeben würden.
W-M: Da muss ich kurz nachdenken. Ich freue mich über unser Gespräch und ich finde jetzt nicht, dass wir etwas Wesentliches ausgelassen hätten, außer wenn es Rückfragen gibt. Schreiben Sie mir. Ich antworte gerne. Also meine Erfahrung ist, das will ich einfach auch transparent machen. Ich glaube, wir sind einfach alle ein Teil, ein möglicher Teil dieser Transformation – wenn wir möchten. Mir fällt Carolin Emcke noch ein. Sie hat so ein Büchlein geschrieben, ich glaube im letzten Jahr: „Was wahr ist.“ Und dann sagt sie so sinngemäß, wenn wir uns dieser Aufgabe stellen, dann ist das nicht komfortabel. Das fühlt sich sogar manchmal wie eine Zumutung an. Und es bedeutet, dass wir uns auch immer wieder gegen vielleicht unsere eigene Verzweiflung entscheiden müssen oder gegen unsere Erschöpfung. Und ich glaube, sie hat recht. Es ist einerseits nicht komfortabel und gleichzeitig ist meine Erfahrung, ist es so lebendig, ist es für mich so sinnstiftend. Auch wenn ich sozusagen genauso imperfekt bin wie alle anderen, und zwar jetzt ein paar Theorien mir durchgelesen habe und was aufgeschrieben habe, aber diese Lernprozesse, die halten an und es lohnt sich, sie auszuprobieren, auch wenn es imperfekt ist. Das würde ich einfach vielleicht als Abschluss sagen. Alles, was es wert ist, getan zu werden, es ist auch wert, unvollkommen getan zu werden.
ML: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch. Mir hat das auch viel Spaß gemacht. Dann an die Hörerinnen und Hörer, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bleiben Sie neugierig und hören Sie sich auch gerne die anderen Folgen an, wo wir uns noch konkrete Gedanken über Lernsettings machen und wo Sie noch Mutmachgeschichten hören. Vielen Dank.
W-M: Vielen Dank.
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