Episode 1 - Was ist BNE und wozu brauchen wir sie überhaupt?
Shownotes
Gesprächspartner Stefan Rostock, Germanwatch e.V.: https://www.germanwatch.org/de/user/stefanrostock
Germanwatch e.V.: https://www.germanwatch.org/de/thema/bildung-nachhaltige-entwicklung
Fußabdruck: https://plattform-footprint.de/verstehen/fussabdruck/
Ökologischer Rucksack: https://www.ressourcen-rechner.de/
Handabdruck: https://www.handprint-hub.de/
UNESCO BNE Aktionsprogramm und BNE-Roadmap 2023: https://www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/unesco-programm-bne-2030
Globales Lernen: https://www.globaleslernen.de/de
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Zukunft gestalten – der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung
Was ist BNE und wozu brauchen wir sie überhaupt?
Michael Lobeck im Gespräch mit Stefan Rostock von Germanwatch e.V., Bonn
ML: Herzlich willkommen zum Podcast „Zukunft gestalten - der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung“. Was ist BNE und wozu brauchen wir sie überhaupt? ist unser heutiges Thema. Mein Name ist Michael Lobeck und ich darf sie durch diese kleine Podcast-Reihe führen, die Ihnen BNE nahebringt und die Umsetzung in Ihrer Bildungseinrichtung leichter macht. Was ist BNE und wozu brauchen wir sie überhaupt? Das wollen wir mit unserem Gast besprechen: Stefan Rostock von der Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch. Herzlich willkommen!
SR: Vielen Dank für die Einladung.
ML: Ja, sehr gerne. Herr Rostock, Sie sind bei Germanwatch als Bereichsleiter Bildung für nachhaltige Entwicklung tätig. Sie sollten sich also auskennen, was es mit BNE auf sich hat. Zu Beginn wüsste ich aber gerne noch, wer ist und was macht Germanwatch überhaupt und was hat das vielleicht mit BNE zu tun?
SR: Germanwatch ist ein Verein, vor etwa 30 Jahren gegründet von Aktiven im Umwelt- und Entwicklungsbereich, weil man gemerkt hat, wir müssen die Themen Entwicklung und Umwelt zusammendenken. Wir sind eine Entwicklungsorganisation ohne Projekte in den Ländern des globalen Südens. Wir arbeiten mit ganz vielen Partnern aus dem globalen Süden daran, den Norden nachhaltiger zu machen, wir setzen uns in den Bundesländern, in Berlin, in Brüssel und an vielen Stellen, wo Deutschland Politik mitgestaltet, in UN-Organisationen, in Handelsorganisation usw. dafür ein, dass dort Strukturen nachhaltiger werden.
ML: Und wie kommt dann bei dem Themenspektrum BNE ins Spiel?
SR: Wir haben schon früh gemerkt, dass wir auf der einen Seite die gesellschaftlichen Teilsysteme umgestalten müssen, dass wir aber auch eine Bevölkerung brauchen, die die Transformation, also die soziale und ökologische Veränderung unserer Gesellschaft versteht und mitträgt. Und dann entstand unser Bildungsteam. Am Anfang war das noch ganz stark Klimabildung. Wie funktioniert der anthropogene Treibhauseffekt? Wie funktioniert nationale und internationale Klimapolitik? Und wir hatten dann auch Bildung rund um den ökologisch sozialen Fußabdruck. Wir haben uns da dann an verschiedenen Stellen weiterentwickelt. Ein Teil unserer Bildungsarbeit geht aber auf dieses Germanwatch-Verständnis zurück, dass wir in der Gesellschaft Strukturen nachhaltig verändern, damit für Unternehmen, für Politiker, für Aktive in verschiedenen Bereichen das nachhaltige Verhalten zum normalen Verhalten wird.
ML: Okay, das heißt Sie haben als Entwicklungsorganisation keine Projekte in Entwicklungsländern oder wie immer man sie nennt. Es geht Ihnen auch nicht so sehr darum, jetzt hier sozusagen nette kleine Projekte zu machen, sondern es geht Ihnen statt der Projekte eher um die Strukturen und diese zu verändern.
SR: Ja, wir haben auch unsere Lernkurve hinter uns. Wir sind auch stolz gewesen, dass wir von Bärbel Höhn, damals Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen, eine Urkunde bekommen haben für ein tolles BNE-Projekt und haben aber gemerkt, dass diese Projektitis die Gesellschaft nicht verändert. Wir haben dann gemerkt, dass das Engagement mit dem Fußabdruck die Gesellschaft nicht verändert, bis hin dazu, dass wir überlegt haben, müssen wir das Engagement mit dem Fußabdruck komplett aus unserem Bildungsansatz streichen. Das Engagement mit dem Fußabdruck zeigt Menschen nur das, was sie Negatives machen. Es zeigt Menschen ihren Flächenverbrauch, ihren Wasserverbrauch, ihre CO2-Emissionen. Aber das ist an sich nichts Motivierendes und es lässt Menschen alleine, weil sie merken, auch okay, bei den CO2-Emissionen komme ich so unter drei Tonnen gar nicht runter, weil der Rest durch unsere gesellschaftlichen Strukturen bedingt ist. Im Bildungsbereich haben wir zusätzlich noch die blöde Herausforderung, dass je klüger wir die Menschen machen in Anführungszeichen, desto besser nachher der Schulabschluss, desto besser der Job, desto schlechter der ökologische Fußabdruck, weil der mit dem Einkommen und nicht mit den politischen Einstellungen korreliert. Also wir haben gemerkt, das Engagement mit dem Fußabdruck ist hilfreich für die Sensibilisierung, aber überhaupt nicht hilfreich, um Gesellschaft zu verändern.
ML: Okay, aber das heißt dann auch, das ist dann auch ein Kernpunkt von BNE. Oder ist das jetzt ein Spezifikum von Germanwatch? Was würden Sie sagen?
SR: Leider ist es an vielen Stellen auch ein Verständnis von BNE und auch die Definition auf dem BNE-Portal geht ja in diese Richtung, dass Menschen die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verstehen. Und da haben wir das Gefühl, da greift das BNE-Portal vom Bildungs- und Forschungsministerium viel zu kurz. Die UNESCO ist da schon deutlich weiter und hat auch einen ambitionierteren BNE-Begriff. Schon im Weltaktionsprogramm hieß es „BNE heißt Lernende befähigen“ und im Englischen ist es viel schöner. Da heißt es „to empower learners“ - sich selbst und die Gesellschaft, in der sie leben, zu transformieren. Und dieses Weltaktionsprogramm, das war absichtlich kurzgehalten (2015 bis 2019). Seit 2020 haben wir das neue UNESCO Programm und da ist genau dieser eine Satz ausformuliert, ausgefaltet und weiterentwickelt. Und mit diesem UNESCO Programm BNE 2030 arbeiten wir jetzt.
ML: Das heißt also jetzt, wenn ich es mal auf mich runterbreche, wenn ich Ihre Zielgruppe wäre, dann geht es Ihnen nicht darum, dass ich verstehe, wie ich mein Haus besser dämme, sondern sozusagen mehr, wie ich Einfluss nehmen kann auf Strukturen.
SR: Ja, in dem Beispiel des Hausbaus würde das so aussehen, dass die Bauvorschriften so sind, dass automatisch jedes Haus zu einem null Energie plus Energiehaus gebaut wird, plus dass wir Verordnungen haben, die Solarpflicht auf Dächern machen, die auch nachrüsten von Dachflächen, die den Gebäudebestand sanieren. Also, dass wir die Nachhaltigkeit nicht mehr in die Verantwortung des Einzelnen abschieben, sondern in die Verantwortung der Verantwortungsträger und der Gesellschaft. Im Moment haben wir ja die krude Situation, dass wir im Bildungsbereich Menschen zu nachhaltigem Verhalten animieren in einer Gesellschaft mit nicht nachhaltigen Strukturen. Und das frustriert die Lernenden und entwertet ja auch ein bisschen die Lehrenden, weil wir permanent gegen diese schiefe Ebene anrennen.
ML: Ist es denn, so wie Sie es jetzt beschreiben, nehme ich es quasi als Alternative oder fast als Gegensatz wahr? Aber ich hätte jetzt das Gefühl, ich kann ja trotzdem sozusagen jetzt weniger Autofahren. Also es ist trotzdem ein sinnvoller Impact. Und wenn wir dann gleichzeitig die Strukturen verändern, ist das auch sinnvoll oder sehe ich das jetzt, weil ich höre auch immer wieder die Diskussion: na ja, man kann da ja eh nichts machen, so müssen halt die da oben oder wie auch immer. Und da wäre jetzt für mich die Frage, wie kann BNE da sinnvoll agieren?
SR: Sie haben völlig recht. Wir arbeiten mit dem Slogan „den Fußabdruck verkleinern, den Handabdruck vergrößern“. Wir haben nur das Problem, dass im Bildungsbereich Bildungsakteure ganz oft bei Engagement mit dem Fußabdruck stehen bleiben. Und das ist dann nicht transformativ. Das wird auch der Größe der Herausforderung in der Klimakrise, in der Biodiversitätskrise, in der Demokratiekrise überhaupt nicht gerecht. Und da ist es dann so und das fordert das UNESCO Programm BNE 2030 raus in den realen politischen Raum. Dort findet Lernen statt, dort findet Bildung für nachhaltige Entwicklung statt. Wir arbeiten gerne mit dem Slogan „Alle Lernorte, also Schule, Verbände, dort, wo Menschen formell informell lernen, das müssen Orte der Transformation werden“. Aber da kommen wir gleich noch dazu, wenn wir uns den whole institution approach anschauen. Und gleichzeitig gehen wir auch außerhalb der Schule, gehen wir außerhalb der Lernorte und gucken uns an wo passiert denn schon Transformation? Weil alle Orte, an denen Transformation passiert, die werden wiederum zu Lernorten. Und so habe ich da ein nettes Spiel von innen und außen, um Transformation wirklich zum Erlebnisort werden zu lassen.
ML: Okay. Das heißt aber ja auch, dass es für Bildungseinrichtungen jetzt auch eher eine große Transformation ist. Es reicht dann vielleicht nicht, drei Kurse anzubieten: Wie verbrauche ich weniger Energie, wie verbrauche ich weniger Wasser oder so was? Sondern, das klingt ja schon so ein bisschen, Sie haben es gerade angedeutet mit diesem Begriff, dass die ganze Institution dann auch gefragt ist. Das scheint ja eine große Herausforderung zu sein.
SR: Ich würde das eher als Chance sehen, weil wir im Moment ja versuchen, Nachhaltigkeit zu lehren, zu unterrichten, erfahrbar zu machen in Gebäuden, in Institutionen, die überhaupt nicht nachhaltig sind. Und damit sind wir unglaubwürdig. Und wenn wir uns auf diesen Weg machen whole school approach, whole institution approach, whole community approach - und die Inder haben uns neulich ausgelacht und haben gesagt, wir brauchen whole society approach. Also immer eine Ebene höher denken, dann werden wir für uns selber und für die Lernenden ja viel glaubwürdiger. Die Motivation steigt und zunehmend zeigen Forschungen auch, dass je glaubwürdiger sich eine Institution auf diesem Weg der Nachhaltigkeit macht, desto mehr steigt auch Mitarbeiterwohlbefinden, Mitarbeitergesundheit, Identifikation mit dem Laden. Das heißt, es sind vielmehr die Chancen, die wir in den Blick nehmen müssen, wenn wir nachhaltiger werden. Und dahinter stehen natürlich auch Zukunftsherausforderungen, Energiekosten, CO2-Neutralität. Dahinter steht aber auch demokratische Teilhabe. Übernehme ich Verantwortung für den Verein, das Unternehmen, in dem ich aktiv bin? Und was sind unsere Werte? Was trägt uns? Was ist unsere Haltung? Das ist ja alles nur eine Chance der Weiterentwicklung. Das ist ja nichts, was ich jetzt als Bürde trage.
SR: Vor allen Dingen leben wir ja in einer Zeit, die wir kognitiv gar nicht so leicht verstehen, weil unser Gehirn nicht gemacht ist, um exponentielle Krisen zu verstehen. Wir haben ja immer das Gefühl, dass das Jahr jetzt das wärmste Jahr ist und danach wird es wieder gut. Aber und das ist auch Mitschuld der Medien, aber das Problem ist ja, dass wir vielleicht dann wieder ein kühleres Jahr haben, aber dass wir auf einer Kurve leben, immer hin zu wärmeren Jahren. Das heißt, Krisen werden zunehmen, Disruptionen werden zunehmen und unser Bildungssystem reflektiert das noch überhaupt nicht.
ML: Wie würden Sie denn sagen, wenn ich mir jetzt vorstelle, ich leite irgendeine Bildungseinrichtung, sagen wir mal eine Volkshochschule oder einen freien Träger, ist jetzt der Hauptpunkt dann, dass ich für mich gucke okay, jetzt gucken wir einmal, wie verbrauchen wir denn weniger Energie und werden wir sozusagen nachhaltiger, also machen uns auf den Weg. Das ist also ein bisschen sind wir dann wieder beim Fußabdruck. Also das muss auch noch was anderes dabei sein, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Was? Was ist das noch? Wie könnte es gehen?
SR: Ganz spannend. Ganz, ganz gute Frage. Ich hole noch mal kurz aus und erläutere mal unser Verständnis. Was ist denn eine Aktion mit dem Handabdruck? Die Idee kommt wirklich von dem indischen Mädchen, was gemerkt hat, Fußabdruck ist all das Negative, was ich mache und Handabdruck ist Ausdruck meines positiven Engagements. Und wir haben das so weiterentwickelt, dass es auch die transformative Dimension deutlich macht. Eine Aktion mit dem Handabdruck bedeutet, mich dafür einzusetzen, dass Strukturen bleibend verändert werden. Weil, wir haben ja in Bildungseinrichtungen ganz stolz seit 30 Jahren Klima-Aktionstage und danach ist alles wie davor und das ist nicht mehr stimmig. Das merken auch Lehrende, das merken Lernende. Wir brauchen andere Aktionsformen. Und da sind Aktionen, wie sie in Berlin das Goethe-Gymnasium gemacht hat, wo eine Schülerin gemerkt hat okay, wir sind eine Schule der Zukunft, wir sind eine Fairtrade-Schule und trotzdem fliegt jede Schulklasse zum Sprachaustausch und das passt nicht mehr. Und dann hat sie eine Debatte angestoßen und die führte dann dazu, dass die Schulkonferenz nachher Regeln für Mobilität beschlossen hat. Und da sind Rahmenbedingungen bleibend verändert worden. Und der Berliner Senat fand das Beispiel so gut, dass er danach für alle Berliner Schulen die Regeln für Mobilität verändert hat, hin zu mehr Nachhaltigkeit. Und jeder kann in seinem eigenen Aktionsraum schauen, wo kann ich denn dazu beitragen, dass sich Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit verändern? Und wir haben auf der Webseite handabdruck.eu dazu sehr schöne Beispiele zusammengetragen wie Handabdrucks-Aktionen aussehen können. Wir haben aber auch bei germanwatch.org auf unserer Webseite Handabdrucks-Bildungs-Material im Bildungsbereich, wo es ganz viele Anregungen gibt, jetzt neu auch ein Methodenhandbuch, um in diese Arbeit mit dem Handabdruck reinzukommen. Wir merken, dass das für viele Bildungsakteure schwer ist, weil wir ja auch in der Zeit von einer Krise der politischen Bildung leben. Menschen haben kaum gelernt, politisch zu denken, strategisch zu denken, Rahmenbedingungen von sich aus zu hinterfragen. Wir sind ja eher als Konsumenten ausgebildet und nicht als kritische Bürger. Und da müssen wir aber wieder hinkommen. Und ich glaube, die letzten Wahlergebnisse haben uns dann noch mal Rückenwind gegeben, dass politische Bildung ausgebaut werden muss. Vor allen Dingen, wenn wir jetzt in einigen Bundesländern Wahlalter ab 16 kriegen, dann muss Schule da auch nachliefern und politische Bildung nachliefern. Ich gehe jetzt einen halben Schritt weiter und kommt zu den Bildungseinrichtungen. Wie kann es denn da aussehen, diesen Schritt zu einem glaubwürdigen whole institution approach zu gehen? Und das fängt an mit: Was sind unsere Leitlinien? Was ist unsere gemeinsame Botschaft? Was trägt uns? Und dann aber auch noch mal einen Blick zu werfen in: Was unterrichten wir? Was ist unser Programm? Sind wir da schon? Ist Nachhaltigkeit da in das Grundgewebe unserer Bildung eingeflossen? Das nächste wäre: Wie bilden wir unser Personal fort? Haben wir Nachhaltigkeit auch als Anregung in Mitarbeiter-Fortbildungen? Demokratische Teilhabe, das ist ein ganz wunder Punkt an Schule. Wie sollen Schüler in so einer hierarchischen Umgebung demokratische Teilhabe lernen? Das ist eine ganz, ganz große Herausforderung. Das kann man in Bildungsinstitutionen natürlich auch lernen mit den Mitarbeiter*innen, aber auch mit den Lernenden dort. Dann kommt der Teil, den alle sofort im Kopf haben. Den Warenfluss, die Stoffströme, Wärme, Energie, Mobilität, Ernährung. Das ist ein Bereich, da kann man dann in die Tiefe gehen. Aber ich will deutlich machen, das ist wirklich nur ein Teil in einem whole institution approach. Und da darf man sich nicht nur darauf konzentrieren. Und dann kommt der spannende Bereich, den Sie auch angesprochen hatten. Klar, ich mache das in meiner eigenen Institution, aber als Akteur in meinem Umfeld. Und wenn ich mich glaubwürdig für Nachhaltigkeit einsetze, dann bin ich auch ein politischer Akteur in meiner Kommune, im Umfeld meiner Bildungseinrichtungen, im Dachverband der Bildungseinrichtungen und setze mich da auch für Nachhaltigkeit ein, das ist ja Teil meiner Botschaft, Teil meiner Identität. Und ich verstehe mich dann ja auch als politisches Subjekt und trage das auch strategisch in meine Rahmenbedingungen mit rein. Und das ist etwas, was gerade Schulen sehr schwerfällt. Bildungseinrichtungen haben es da zum Teil ein bisschen leichter, aber das ist ein Weg, auf den sich gerade viele machen. Und da passiert gerade sehr viel Spannendes.
ML: Sie haben jetzt viele Aspekte angesprochen, die eine Rolle spielen. Wenn man einen whole institution approach, also einen ganzheitlichen Blick auf die eigene Organisation und die eigene Arbeit einnimmt: Leitlinien, die man verfolgt, das konkrete inhaltliche Programm, das man unterrichtet, Umgang mit den eigenen Mitarbeiter*innen, die Frage der demokratischen Teilhabe sowohl mit den Teilnehmenden als auch mit den Mitarbeiter*innen. Und dann aber auch der Blick auf das ganz konkrete Materielle, also den konkreten eigenen Ressourcenverbrauch der Einrichtung vom Kopierpapier bis zur Kantine und schließlich die eigene politische Wirksamkeit im Sinne eines Einflusses auf Rahmenbedingungen. Das klingt für mich jetzt auch besonders spannend, weil es ja, wie Sie das auch beschreiben, diesen Bogen spannt. Es ist sozusagen tatsächlich ein ganzheitlicher Blick auf alles und ich kann bei jedem Punkt, egal was ich tue und welche Struktur ich mir anschaue, diesen Blick anwenden und kann mich fragen, okay, bin ich schon auf dem richtigen Weg oder wo kann ich noch - was für Bildungseinrichtung auch schön ist - wo kann ich noch etwas lernen und wo kann ich sozusagen mein eigenes Lernen gestalten und nicht nur das Lernen der Anderen. Das finde ich ein ganz, ganz schönes Bild dafür. Sie haben auch ein paar Punkte angesprochen, die es Bildungseinrichtungen eben auch schwer machen dabei. Wenn Sie jetzt auf sich selbst gucken, klappt das denn schon gut oder wo sind vielleicht Hürden, die sie dann entweder schon überwunden haben oder noch überwinden müssen?
SR: An einer Stelle sind wir weiter, an mehreren anderen Stellen sind wir bei Germanwatch auch nicht gescheitert, aber sind wir noch dabei. Das eine ist, wir haben eine ganz schöne Policy für die nachhaltigere Veranstaltungsorganisation, nachhaltiges Catering. Das ist ganz prima und da haben wir dann auch nette Erfahrungen mit Mensen gemacht, mit Kantinen, wo wir gesagt haben: boah, toll, wie habt ihr das geschafft, dass ihr Fleischfrei vier Tage die Woche anbieten könnt? Und dann sagen die: ja, wir haben gut gekocht und wir haben nicht drüber geredet. Also sie haben einfach Rahmenbedingungen geändert, sodass nachhaltiges Verhalten für die Konsumenten bei ihnen leicht geworden ist, einfacher geworden ist, selbstverständlicher geworden ist. Oder manche machen das zum Umstieg so, dass sie das Fleischmenü auf Nummer vier setzen und die Hauptmenüs sind die Fleischfreien. Also dieses leichte Ändern der Rahmenbedingungen. Dann merken wir aber auch, dass wir auf dem Bonner Mietmarkt natürlich unsere Herausforderungen haben, ein nachhaltiges Gebäude zu finden. Da versuchen wir dann mit der Stadt in Kontakt zu sein und sind es auch. Da müssen wir noch einen Schritt weitergehen, wo wir, glaube ich, ganz gut sind, aber da haben wir es auch leicht als einen Verein, der sich der Zukunftsfähigkeit Nachhaltigkeit verschrieben hat, dass wir nicht sagen Nachhaltigkeit, das macht bei uns Herr oder Frau XY, sondern Nachhaltigkeit ist das Grundgewebe unserer Einrichtungen und das Grundgewebe unserer Satzung, unseres Leitbildes. Und darauf baut alles andere auf. Und das ändert schon mal sehr viel.
SR: In den Schulen hat man ja oft das Problem, dass Nachhaltigkeit das macht Frau Soundso, und das ist aber nicht in die Identität der Schule übergegangen. Also da sind wir an manchen Stellen weiter, an manchen Stellen auch auf dem Weg. Aber es ist ganz spannend zu gucken, wo können Bildungseinrichtungen da besser sein wie wir, wo können wir Anregungen geben? Und wir merken auch, dass whole institution approach sich weiterentwickelt, auch im Verständnis, dass es kein Statisches ist, sondern eher so etwas, was man einmal im Jahr dann wieder reflektiert. Wo stehen wir, was haben wir erreicht, wo können wir die nächsten Schritte gehen? Also wirklich auch die Entwicklung hin zu immer mehr Nachhaltigkeit als dynamischen Prozess verstehen.
ML: Okay, aber das ist ja auch sozusagen leicht übersetzt zu sagen, es ist auch nicht schlimm, wenn man jetzt mal irgendwo einfach anfängt, wenn man diesen Blick hat zu gucken, dass man möglichst nicht nur sich in kleinen Projekten, die man durchaus ja machen darf - darum geht es ja nicht - verliert, sondern dabei immer die Struktur im Blick hat, die sozusagen langfristig nachhaltig eben auch das eigene Handeln beeinflusst. Sie haben schon so ein bisschen angedeutet, wenn Sie es noch mal zusammenfassen: was würden Sie sagen, ist der Gewinn für eine Bildungseinrichtung, sich auf diesen Weg zu machen? Also wo profitiert die dann selber davon? Oder die Leute auch, die da drin arbeiten?
SR: Noch mal einen halben Schritt zurück. Man muss sich klar machen, wo stehen wir gerade eigentlich? Wir sind in der Klimakrise, wir sind in der Biodiversitätskrise. Und wenn wir uns dem nicht zuwenden, dann laufen wir in eine ganz große Glaubwürdigkeitskrise rein. Das andere ist, wir leben ja auch in Zeiten der Transformation. Deutschland hat den Beschluss, dass wir 2045 Treibhausgasneutral sind. Wie hat Ihre Bildungseinrichtung darauf reagiert? Wie ist Ihr Plan, 2045 Treibhausgasneutral zu sein? Das heißt, sie sehen sich ja selber eher als Vorreiter in der Transformation, hoffe ich. Und dann ist natürlich die Frage, wo befinden sie sich auf dem Weg? Also, dass sind diese Rahmenbedingungen, einmal Leben in Herausforderungen und dann aber auch Leben in der Transformation. Und dann zu erleben, wenn ich meine Institution demokratischer gestalte, wenn ich sie insgesamt offener mache für Mitarbeiter*innenbeteiligung, für Innovationen im Bereich Mobilität, im Bereich Ernährung, dann löse ich da ja auch eine Dynamik, dann löse ich da ja auch Innovationen aus, die wiederum zu Mitarbeitermotivation, manchmal auch zu Mitarbeiter*innenverunsicherung beitragen, aber manchmal auch zum Aufbruch von Neuem. Und das ist ja das, was wir in der Transformation brauchen: zukunftsfähige Lebensstile. Und da gibt es noch keine Blaupause für, da gibt es keine Lösungsblätter für, sondern das ist was, was verschiedene Institutionen, was Regionen, was Länder jetzt entwickeln. Und das ist ja ein ganz spannender Prozess, dahin zu kommen. Und ja, da leiden wir auch drunter, dass im Bildungsbereich auch, denn da brauchen wir im Bildungsbereich kreative Kräfte, die sich genau auf diesen kreativen Weg machen, nachhaltige Zukünfte zu entwickeln.
ML: Ich habe noch so einen ganz kleinen Punkt, wo ich bei mir so eine leichte Skepsis spüre. Wenn ich an jetzt weniger eigentlich an die Bildungseinrichtungen denke, vielleicht aber auch an die, das weiß ich nicht. Aber so an den ein oder anderen Teilnehmer der Bildungseinrichtungen, haben die dann nicht auch die Sorge, okay, jetzt muss ich hier auch noch alles anders machen, sozusagen. Ich wollte eigentlich, ich sage mal einfach, ich wollte eigentlich nur Englisch lernen. Wie kann man die gut mitnehmen? Was meinen Sie? Oder ist das unkompliziert aus Ihrer Sicht?
SR: Es kommt immer auf die Zielgruppen an, das merken sie ja selber. Mit manchen ist es unkomplizierter, da macht es Freude, da macht es Spaß, sich auf diesen Weg des Neuen zu begeben. Und dann hat man wieder andere Zielgruppen. Da merkt man, hier braucht es erst mal, nennen wir es Trauerarbeit. Ich muss lernen, 250 Jahre fossiles Wirtschaftsmodell hinter mir zu lassen. Und das sind - man kann das auch nett nachlesen - die Phasen der Trauer von Kübler-Ross, von Leugnung, von Widerstand, von Resignation. Bis ich dann komme zur Akzeptanz und dann zur Mitgestaltung. Und diese verschiedenen Phasen machen unsere Teilnehmer ja auch durch. Wir haben das wahrscheinlich in der Familie selber erlebt, dass die, die aus der Wirtschaftswunderzeit kommen, die können doch, die leben ja manchmal in einer Situation, wo sie denken, das kann doch nicht alles falsch gewesen sein, was wir gemacht haben. Nee, war nicht alles falsch. Aber jetzt einen Schritt weiter und die Leute mitnehmen, ihnen auch Rückenstärkung zu geben und trotzdem Mut zu machen, dass man sagt: toll, ihr habt das jetzt aufgebaut, dass Deutschland nach dem Krieg und jetzt ist die nächste große Herausforderung dran, die etwa genauso groß ist wie der Aufbau Deutschlands nach dem Krieg. Und jetzt brauchen wir das nachhaltige Deutschland. 100 % erneuerbare Energien, geschlossene Stoffkreisläufe, sonst riskieren wir die Zukunft für uns und die nachkommenden Generationen. Und dieses Narrativ, dass wir gerade eine große Herausforderung vor uns haben, das trauen sich gerade viele noch nicht zu sagen. Aber eigentlich brauchen wir das große Projekt Transformation Deutschland. Und da sind eigentlich Bildungseinrichtungen die, die das sowohl in der Debatte vorantreiben, als auch in der Praxis vorantreiben könnten.
ML: Wunderbar. Das scheint mir eine gute Zusammenfassung zu sein - im Sinne von das ist die gute Aufgabe auch. Also wo man auch, denke ich, mit Energie drangehen kann. Und ich fand noch mal schön, wie sie das gesagt haben, wie man die auch mitnehmen kann, die da jetzt einfach skeptisch sind und die nicht so richtig wissen, wie es denn gehen soll. Und die genau wie Sie sagen, denken, es kann ja nicht alles falsch gewesen sein. Das finde ich nochmal einen ganz wichtigen Punkt. Ich würde gern zum Abschluss Sie bitten, vielleicht zwei Sätze zu ergänzen. Der eine wäre: BNE trägt zur nachhaltigen Entwicklung oder jetzt auch zur Transformation bei, weil.
SR: Es Menschen ermutigt, sich in ihrem Umfeld in - ja, ich will nicht sagen, politische Prozesse, weil es klingt immer sehr trocken, aber in ihr Umfeld einzubringen. Und das geht vom Fußballverein bis zu Messdiener, Pfadfinder, Kommune und sich dort dafür einsetzen, dass Strukturen bleibend hin zu mehr Nachhaltigkeit verändert werden. Und für viele ist das zum ersten Mal, dass sie diese Selbstwirksamkeitserfahrung haben. Und das ist oft was ganz schön Ermutigendes, was ganz schön auch Selbstbewusstsein Stärkendes. Okay, das war kein Satz, aber es war eine Idee hinter dem Satz.
ML: Ja, okay. Und bei dem zweiten Punkt noch mal BNE lohnt sich für Bildungseinrichtungen, weil.
SR: Wer sich nicht auf den Weg begibt, hat viel größere Risiken als jemand, der sich auf diesen Weg begibt. Sei es der Gebäudebestand, sei es die Mitarbeiter, sei es das Bildungsprogramm. Es wird relativ schnell altbacken, wenn ich die Zukunftsherausforderungen nicht in Angriff nehme. Und wer die Zukunftsherausforderungen in den Angriff nimmt, der lebt auch in den politischen Debatten, die wir zurzeit haben und kann dann seine Lernenden empowern, auch an diesen Zukünften mitzugestalten.
ML: Wunderbar! Herzlichen Dank, Herr Rostock. Also mir ist jetzt auf jeden Fall klar geworden, es geht nicht nur um zwei drei zusätzliche Kurse, wo man noch ein bisschen mehr Ökologie lernt. Oder wie ist denn mit der Klimakrise so ist? Und für alle, die noch ein bisschen nachlesen wollen. Sie hatten vorhin den Handabdruck-Blog genannt, der hieß handabdruck.eu
SR: Mehrere Webseiten, wo man gutes Material bekommt, das eine sind Beispiele auf handabdruck.eu. Dann haben wir auch einen eigenen Blog handprint-hub.de und auf der klassischen germanwatch.org Webseite unter Bildung ganz viele Informationen zum Handabdruck. Freue mich, dass ich hier sein durfte.
ML: Wunderbar! Vielen herzlichen Dank und wir werden auch noch weitere Tipps zur Lektüre in die shownotes packen. Und nachdem wir in dieser ersten Folge hoffentlich erklärt haben, was BNE ist und warum es wichtig ist, geht es dann in der zweiten Folge darum, wie wir unsere Bildungseinrichtungen zu Orten machen können, an denen Suchbewegungen in die Zukunft gelingen, die nicht nur Spaß machen, sondern eben auch positive Veränderungen mit sich bringen. Bleiben Sie neugierig. Bis bald!
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