Episode 2 - Wie lernt man eigentlich Transformation?

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Zukunft gestalten – der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung

Wie lernt man eigentlich Transformation?

Michael Lobeck im Gespräch mit Dr. Antje Brock vom Institut Futur, Berlin

ML: Herzlich willkommen zum Podcast „Zukunft gestalten - der BNE-Podcast für die Erwachsenenbildung“. Unser heutiges Thema ist: Wie lernt man eigentlich Transformation? Wie lernt man also, neue Lösungen für noch nie dagewesene Herausforderungen zu finden? Mein Name ist Michael Lobeck und ich darf Sie durch diese Podcast-Reihe führen, die Ihnen BNE nahebringt und die Umsetzung in Ihrer Bildungseinrichtung leichter macht. Um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, muss sich offensichtlich Einiges verändern. Wie lernt man aber Transformation, das heißt neue Lösungen für noch nie dagewesene Herausforderungen wie die Klimakrise zu finden? Das wollen wir mit unserem Gast besprechen. Frau Dr. Antje Brock von der Freien Universität Berlin. Herzlich willkommen!

AB: Dankeschön. Ich freue mich. Vielen Dank.

ML: Sehr schön. Frau Brock, Sie sind als Wissenschaftlerin an der FU Berlin im Institut Futur im Arbeitsbereich Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung tätig. Wer ist und was macht das Institut Futur? Was machen Sie dort und was hat das mit BNE zu tun?

AB: Ja, das Institut Futur, das ist der kurze Name für das Institut für Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Und da gibt es verschiedenste Studien, die geleitet werden unter Professor Gerhard de Haan. Ich bin seit 2015 tätig im Nationalen Monitoring für BNE, also Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wir sind an der Wissenschafts-Politik-Schnittstelle tätig und gehen eigentlich zwei Fragen nach: In welchem Ausmaß hat es denn BNE schon geschafft, in die verschiedenen Bildungsbereiche Eingang zu finden und in welcher Qualität? Also insofern gucken wir, wo ist schon was vorhanden und was für Hebel / was für Möglichkeiten gibt es, um das Ganze auch noch zu stärken?

ML: Okay, jetzt ist es ja bei BNE so, dass ist mein Gefühl, dass das so ein bisschen anders funktioniert als das Lernen, was ich zumindest noch in der Schule kennengelernt habe. Ist das so oder ist es nicht so? Oder wie? Was wären Besonderheiten? Vielleicht.

AB: Ja, interessante Frage. Vielleicht waren Sie ja auch an einer Schule, die schon sehr BNE-affin war, wer weiß? Aber ja, in der Regel kann man noch nicht davon sprechen, dass BNE an Schulen oder in anderen Bildungseinrichtungen Standard ist. Und es gibt in der Tat einen Unterschied. Zum Beispiel ist es so, dass sich BNE auf eine andere Weise auf die Zukunft bezieht. Denn sehr viel von dem, was man heutzutage in der Schule lernt, orientiert sich daran, was früher mal funktioniert hat und dass das einfach in die Zukunft verlängert wird: diese und diese Wissensbestände waren wichtig und das und das gibt es zu lernen. Es gibt einen starken Fokus auf kognitive Wissensinhalte. Da ist BNE schon anders, weil BNE nicht so sehr dieses sogenannte epistemische Wissen, also das Wissen, was man nachschlagen kann irgendwo, was dann richtig oder falsch ist - auf das zielt es nicht so sehr ab, weil sich das auch schnell überholt in dieser Zeit, in der wir leben, ohnehin. Sondern es ist eine andere Art des Wissens, wo man mit Dingen, vielleicht auch Problemstellungen oder mit Herausforderungen, mit Chancen sozusagen konfrontiert ist, ihnen begegnet und sich fragen kann: Ja, was mache ich denn jetzt in dieser Situation? Es ist also eher ein Wissen, das sich auf verschiedenste Dinge übertragen lässt, was ergebnisoffener ist. Es ist dann eher heuristisches Wissen, also, welche Wege habe ich, um in diesen komplexeren, offeneren Situationen dann trotzdem eine gute Lösung zu finden. Das ist ein stärkerer Unterschied von BNE zu anderen Inhalten und auch, weil der Kern von Nachhaltigkeit auch ein Gerechtigkeitsgedanke ist, der dann in Raum und Zeit ausgedehnt ist. Also, dass man auch an zukünftige Generationen denkt, aber auch an die, die räumlich weit entfernt sind. Und weil das eben so ist, mit der Gerechtigkeit im Kern, spielen auch sozio-emotionale Faktoren eine ganz wichtige Rolle; also sich hineinversetzen in andere oder ein antizipierendes Denken in die Zukunft hinein. Das ist schon ein Unterschied dazu, wie schulische Praxis heute funktioniert. Und zuletzt sei vielleicht noch dazu gesagt, es ist auch sehr stark lebensweltorientiert. Also ich weiß nicht, wie viel Schulinhalt oder andere Bildungsbereiche direkt an den Lebenswelten so anknüpfen, wie das BNE konzeptionell vorsieht. Man geht vom Alltag aus, davon was für die Menschen relevant ist und was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat und baut, ausgehend von diesen Anhaltspunkten, Lerninhalte auf. Insofern gibt es, glaube ich, deutliche Unterschiede noch zu dem, was mainstreammäßig an den Bildungsinstitutionen passiert.

ML: Na wunderbar, dann habe ich zumindest den richtigen Eindruck gehabt bei dem Überblick, den ich gewonnen habe. Wenn es um so Veränderungen geht, um Transformation, um Umbau, dann ist es ja oft relativ einfach rauszufinden, okay, wo sind wir jetzt? Und vielleicht hat man ja auch noch eine Idee, in welche Richtung man will. Aber wie man genau da hinkommt, ist eben offen. Und das haben Sie auch gerade beschrieben, Sie haben es heuristisch genannt, also ein entdeckendes Lernen, würde ich sagen. Was für Kompetenzen braucht es dafür besonders, sowohl als Lernender wie als Lehrender?

AB: Neben den schon angedeuteten sozialen und emotionalen Kompetenzen, die braucht es auch in bestimmten Kontexten, weil das Lernen offener / ergebnisoffener ist. Es braucht auch eine gewisse Ambiguitätstoleranz, also wenn es nicht so klar ist, was das richtige Ergebnis ist oder auch wenn die Umstände nicht so eindeutig sind, hier ist jetzt sozusagen Plan A und Plan B, usw. Im Umgang mit diesen unklaren, teilweise mehrdeutigen und sich widersprechenden Situationen braucht es eine Kompetenz, das auch nicht nur aushalten zu können, sondern auch okay finden zu können. Mit diesen Unsicherheiten im Orientieren und auch mit den nicht Eindeutigkeiten leben zu können, das ist eine wichtige Kompetenz in der BNE. Wichtig ist auch das Kooperieren in sehr heterogenen Gruppen. Heutzutage leben wir in immer homogeneren Gruppen, die die eigene Meinung widerspiegeln, unserer Bubble, auch durch Social Media. Aber genau das Gegenteil davon versucht BNE zu fördern. Also mit Menschen, die erst mal nicht nur eine andere Meinung, sondern auch eine andere Haltung dahinter haben, trotzdem kooperativ umgehen zu können und zu wollen. Also diese Offenheit und das sind auch Kompetenzen, die es braucht in diesen unklareren und vielleicht auch Situationen, die so noch nicht so viele Beispiele hatten, wo man noch nicht so viel lernen konnte daraus, wie ich jetzt genau damit umgehen kann?

ML: Ich finde das erst mal alles sehr plausibel, dass man das alles gut gebrauchen kann, wenn man sich auf neue Dinge und auf die Gestaltung von Umbau und Transformation einlässt. Wie kann ich das als Bildungseinrichtung gestalten, frage ich mich oder auch vielleicht eins vorher noch: Wo kann ich das denn alles lernen? Haben sich da schon Institutionen herausgebildet, die Leute ausbilden, die BNE machen?

AB: Ja, die guten Beispiele gibt es, und zwar entlang der gesamten Bildungskette von Kitas über Schulen, berufsbildende Schulen, Hochschulen und non-formales / informelles Lernen. Aber das sind bisher längst noch nicht die große Masse, das sind dann die Leuchttürme, die auch entsprechend ausgezeichnet sind oder sich das wirklich als Profil gegeben haben. Diese Orte kann man finden, da wird das Ganze dann auch umgesetzt, auf allen Ebenen, also nicht nur die Wissensinhalte, sondern da geht es darum, dass das dann auch gelebt wird. Die Gebäude sind entsprechend gestaltet, das Essen, die ganzen Abläufe, dort wo der Strom herkommt usw., da werden diese Prinzipien der Nachhaltigkeit gelebt. Und die Frage ist natürlich, wie kommt man denn von denen, die so pionierhaft unterwegs sind, dann stärker in den mainstream? Wichtig ist bei diesen Themen auch nicht nur der Umgang mit heterogenen Gruppen, mit Menschen verschiedenster Orientierungen, Herkünfte, sondern auch verschiedenster Disziplinen. In Skandinavien gibt es den Ansatz phänomenorientierter oder problemorientierter an Inhalte heranzugehen und von dort aus eine Lösung zu denken und da dann in die verschiedenen disziplinären Tiefen zu gehen. Aber nicht von den verschiedenen Disziplinen auszugehen und dann auch nicht so viel weiterzukommen bei diesen Nachhaltigkeitsthemen, die ja Ökologisches, Ökonomisches und Soziales immer zusammendenken. Von daher spielt das Interdisziplinäre eine sehr große Rolle.

ML: Und wenn ich jetzt denke, ich habe so eine Bildungseinrichtung, gibt es da schon eine Art Checkliste oder worauf muss ich besonders achten, wenn ich das einrichten will? Also die Kompetenzen haben wir schon, hatten wir gerade. Also das wäre natürlich gut, wenn man sich die aneignet oder wenn die Kursleiter*innen oder wen man da hat, das haben. Aber gibt es auch für die Einrichtung noch Dinge, wo Sie sagen okay, das wären so Schritte, das wäre hilfreich, nach den Sachen, die Sie bisher so rausgefunden haben.

AB: Ja, es ist ein uralter Grundgedanke von Bildung, dass man Dinge besonders dann gut vermitteln kann, wenn man sie auch selber authentisch lebt. Also ein Vorbild zu sein in dem, was man lehrt. Und das ist aber auch nicht zu verwechseln mit: Man muss sich jetzt als eine Person oder eine Institution geben, die alles schon perfekt kann, sondern eben dieses Prozesshafte. Wir versuchen auch herauszufinden, was besonders effektiv ist, in Richtung Nachhaltigkeit fördern. Und diesen Dingen wenden wir uns zu. Und das heißt also Vorbild sein ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig. Und auch noch mal zurückkommend auf die sozio-emotionalen Kompetenzen. Es geht auch darum, erst mal eine Atmosphäre oder ein Setting zu schaffen. Das ist gerade wichtig, weil die Dinge, die ja im Kontext von nachhaltiger Entwicklung nicht immer so einfach sind. Die haben etwas sehr Krisenhaftes, da gibt es eine gewisse Schwere, die damit einhergeht, es gibt Untersuchungen dazu, dass das wirklich auch negative Emotionen sind, die am stärksten auftreten, auch bei jungen Menschen. Das heißt: Wie kommt man erstmal dazu, das Thema bearbeitbar zu machen, das Thema aufzuschließen, sodass auch überhaupt eine Motivation entsteht und überhaupt das Gefühl entsteht, das ist attraktiv, mich damit zu beschäftigen. Das sind, glaube ich, Voraussetzungen, die sehr, sehr wichtig sind, die Institutionen leisten sollten.

ML: Na gut, und das unterscheidet sich von „Bücher aufschlagen“ und „Lern die Vokabeln von A bis, weiß nicht was“. Ja, das ist sehr deutlich und oft auch das Gefühl, dass wir sozusagen eigentlich alle oder viele den Eindruck haben: „Ja, wir brauchen eine Transformation, es muss sich viel verändern“. Und dennoch habe ich das Gefühl, so richtig viel verändert sich nicht. Das ist so ein typischer Gap natürlich, den man auch von sich selber kennt. Neujahrsvorhaben, wo man dann eigentlich Dinge weiß und dann aber die Umsetzung doch schwerfällt. Können Sie da etwas aus Ihrem Forschungsfeld sagen, wie man diese Brücke überwinden kann?

AB: Es gibt da, wie Sie schon beschreiben, verschiedenste Hürden, um dieses bekannte Knowledge Action Gap zu überwinden. Die Probleme liegen ja zum einen auch in der Motivation, man erfährt etwas über die Problemgröße, über die Problemart von Nachhaltigkeitskrisen, also Klimawandel, Biodiversitätskrisen usw., ... also sechs der neun Planetary boundaries sind überschritten.

ML: **Frau Dr. Brock nannte gerade den Begriff der Planetary boundaries – auf Deutsch Planetare Grenzen. Das Konzept der Planetaren Grenzen geht davon aus, dass es ökologische Grenzen der Erde gibt, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems der Erde als Ganzes und damit das Existieren der Menschheit gefährdet. Aktuell wird von neun Planetaren Grenzen gesprochen, von denen sechs bereits überschritten sind. Für einen ersten Einblick in das Konzept finden Sie in der Wikipedia einen Artikel mit dem Titel „Planetare Grenzen“. https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen

AB: Noch mal ganz zu schweigen von den sozialen Problemen, die sich auch nicht verringern. Das heißt, da gibt es auch so ein Ohnmachtsgefühl, so ein Gefühl von „Da habe ich jetzt keine Lust auf dieses Thema“. Was kann man von dieser Motivation ausgehend machen? Und da wäre eine Grundrichtung von den Vermeidungszielen zu Annäherungszielen zu kommen. Also Vermeidungsziele im Sinne von: „die Welt ist so unnachhaltig“/ „die Welt ist so problematisch“. Wir müssen die Probleme verringern, da will ich erstmal raus aus dem Minusbereich. Und Annäherungsziele, da kann man im neutralen Bereich sein, will zu etwas Positivem, etwas was einen anzieht - von Push - weg von dem Problem, hin zu Pull, da zieht mich was, da ist etwas attraktiv für mich. Also wie können wir die Nachhaltigkeitsthemen auch als solche gestalten und vermitteln, dass sie auch diese Pull-Effekte ausreichend haben, weil das Push, dass ist denen inhärent. Es geht ja auch nicht darum, dass BNE die Problemgröße verschweigt oder kleiner macht, altersgemäß ist die natürlich zu vermitteln. Das heißt, dass man erst mal auch da eine Attraktivität in der Auseinandersetzung bietet, indem man auch wieder hier von der Lebenswelt ausgeht. Also: Was interessiert denn die jungen Menschen? Wie können sie denn zu einem ambitionierten Verständnis kommen, was eine wünschenswerte Zukunft, was gute, was positive Zukünfte sind, aber ohne dabei utopisch oder naiv zu werden? Und wie kann so was umgesetzt werden? Da denke ich an Methoden wie Backcasting, die man anwenden kann, Zukunftswerkstätten und ähnliches. Man kann auch einen Perspektivwechsel vollziehen. Ja, die gegenwärtige Situation ist problematisch. Aber seinen Blick darauf zu richten, was ist schon passiert. Und wenn es nur der ist, dass eben auch schon das Problembewusstsein bei einer ganz großen Menge in der Bevölkerung da ist und daran anzuschließen. Aber vor allem bei den eigenen individuellen Vorstellungen einer schönen Zukunft anzusetzen und da zu gucken, okay, was ist hier eben ambitioniert, aber durchaus umsetzbar. Das wäre so das eine. Und eine andere Möglichkeit wäre, das Ganze auch noch mal zu verknüpfen mit Dingen, die wirklich auch dieses Agency Problem betreffen, also so ein Problem von Handlungsbefähigung „Ich bin doch hier nur so ein Tröpfchen auf den heißen Stein, was ich bewirken kann“, da heraus zu kommen und sich in einer Weise befähigt zu fühlen, dass man wirklich einen Effekt machen kann, dass man was in Gang setzen kann. Und wie geht das? Da könnte es relativ tief greifen in das, was Bildungsverständnisse sind. Die sind ja zumeist auch recht individuell ausgelegt. Dass man sozusagen sich gut ausbilden lässt, um dann auch Fähigkeiten anzusammeln, um für ein eigenes, erfolgreiches Leben. Und es gibt aber auch andere Ansätze, andere Bildungskonzepte, die dann noch mal eine kollektive Orientierung haben. Also es ist ja fast eine Zumutungskonstellation, dass man sagt, die Nachhaltigkeitskrisen, die wir heute spüren, die sind über zig Generationen kollektiv verursacht. Natürlich in den meisten Teilen, bevor wir das alles seit ungefähr 30-40 Jahren wissen, auch als Nebenprodukt von Handlungen, die uns eigentlich ein besseres Leben ermöglichen sollten und dass man aber dieses hochgradig kollektiv Verursachte dann einem Einzelnen aufbürdet. So, und jetzt trag mal dazu bei, zur Lösung. Nein. Und auch da kollektiver zu denken, auch im Sinne von ihr als Gruppe seid angesprochen, ihr als Klasse oder als wie auch immer gestaltete Gruppe, dass man ein sehr viel kollektiveres Lernverständnis hat. Das könnte auch eine Möglichkeit sein, diesem Agency Dilemma, diesem Gefühl von „ich kann doch als Einzelner nicht so gut etwas dagegen tun“, dass man es von vornherein viel kollektiver aufzieht. Diese Arten von Befähigung, das wären auch, glaube ich, sinnvolle Möglichkeiten.

ML: Ja, das finde ich sehr spannend. Also ich kann es mir jetzt erst mal direkt gut vorstellen, dass man das in Bildungseinrichtungen jetzt, egal ob schulisch oder außerschulische, also wunderbar machen kann in der Erwachsenenbildung. Also auch zu sagen okay, jetzt schauen wir mal gemeinsam, machen so ein, ich nenne es jetzt mal Projektseminar oder was auch immer und nehmen uns einer Sache an und was bewegt uns denn? Wo sind unsere Anschlussmöglichkeiten und wo geht man dann hin? Das finde ich tatsächlich eine gute Vorstellung. Sie haben das am Anfang schon gesagt, dass Sie jetzt sagen würden: Ja, es gibt schon viele gute Beispiele, aber mainstream ist es jetzt ist es noch nicht. Aber bewegt es sich denn in die richtige Richtung, aus Ihrer Sicht?

AB: Ja, das ist in der Tat so, es bewegt sich in die richtige Richtung. Jetzt kann man zwei Perspektiven einnehmen, ausgehend von den Bildungssystemen als solche. Also wie schnell haben die sich in der Vergangenheit bewegt und wie schnell bewegen die sich jetzt, in eine neue inhaltliche Richtung? Da kann man sagen, ja, das ist einfach auch ein System, wo Veränderungen relativ langsam passieren. Also insofern läuft das relativ normal, gegebenenfalls mit BNE. Gleichzeitig kann man aber auch eine andere Perspektive anlegen, und zwar die nach der Entwicklung der Nachhaltigkeitskrisen. Die naturwissenschaftlichen Diagnosen oder auch die sozialwissenschaftlichen Diagnosen zu sozialen Krisen, die sind recht eindeutig und schon seit vielen Jahrzehnten, da. Wie drängend das ist. Und wenn man es daran misst, also an der Entwicklung der Nachhaltigkeitskrisen, dann ist es natürlich eindeutig zu langsam. Wobei ich hiermit auch nicht sagen möchte, die jüngeren Generationen, das jüngere Alterssegment, Schule, vorschulische Bildung, die sollen jetzt mal unsere Nachhaltigkeitskrise lösen. Also das wäre eine Vertagung der Probleme, das wäre eine Verschiebung auf diejenigen, die am wenigsten Verantwortung dafür tragen und noch gar nicht in den Entscheidungspositionen wären. Darum ging es nicht.

ML: Ja, aber gut, dann ist mehr noch in der Hand und der Aufgabe der Erwachsenenbildung durchaus mit denen, die schon in Verantwortung sind und die mit dem Dilemma, gemeinsam eine Weiterentwicklung der Gesellschaft zwar gebracht zu haben, aber dabei die Klimakrise gut mitverursacht haben oder gut verursacht haben, dass die das auch in die Hand nehmen. Das finde ich einen guten Zugang.

AB: Ich denke auch, dass es vielleicht eine Ergänzung wäre zu einem wichtigen Inhalt, wie man vom Wissen zum Handeln kommen kann. Das betrifft die Ebene, also mehr darüber informiert zu sein, dass wir auch nicht so rational sind, wie wir vielleicht denken. Also dass wir eingebaute Wahrnehmungsfehler haben, dass wir Verzerrungen haben, also Biases, die zum Beispiel je länger etwas in der Zukunft liegt, desto weniger groß sehen wir Gefahren und Probleme für uns an, unterschätzen das auch, ob es uns selbst betrifft und wie es uns betrifft. Oder wir haben natürlich auch In-Group / Out-Group Biases - auch je weiter weg und je weiter weg auch von meiner persönlichen Identifikationsgruppe, desto weniger problematisch. Und diese Dinge, die sind vielleicht mal individuell funktional gewesen, so für uns evolutionär als Menschheit gesprochen. Aber, und da gibt es auch eine spannende Forschung zu, die fällt uns gerade sehr auf die Füße, wenn man das kollektiv betrachtet. Also diese Verzerrungen führen auch dazu, dass wir das Problem systematisch unterschätzen. Und wenn man es aber positiv wendet, könnte man sagen, diese eigenen Wahrnehmungsverzerrungen zu einem Bildungsgegenstand zu machen und uns entsprechend auch dann über unsere sozusagen schief geschliffenen Linsen, durch die wir hindurchschauen, in die Welt, bewusst zu werden. Das gibt uns auch die Möglichkeit, die systematisch wiederum zu korrigieren. Also das könnte auch noch mal ein wichtiger Puzzlestein sein, im Sinne dieser Befähigung und natürlich auch Umstände zu schaffen, dass wir aus den Verdrängungen herauskommen, in denen wir leben. Weil, auch das zeigen auch Forschungsergebnisse, ist eine wichtige Erklärung dafür, warum wir so lange schon nicht tun, was wir denn eigentlich wissen. Und da die Verdrängung erst mal erklären zu können und zu schauen, was Menschen brauchen, um aus diesen auch sozio-emotional herausfordernden Kontexten heraus handlungsfähig zu werden.

ML: Ja, das finde ich alles sehr, sehr überzeugend, muss ich sagen. Das sind gute Elemente, glaube ich, die sich auch gut ergänzen. Also, was Sie sagen, mein eigener Bias, den kann ich vielleicht dann auch, wenn ich mit anderen zusammen gucke, wie können wir es kollektiv angehen, auch wieder ein bisschen relativieren und kann dabei lernen, dass ich ihn habe. Das finde ich ganz gute Ansätze, die ich mir da vorstellen kann und die auch gerade zur Erwachsenenbildung finde ich wunderbar passen. Ich würde Sie zum Abschluss noch bitten, vielleicht zwei Sätze zu ergänzen, die ich nun so angefangen habe und mich interessieren würde, wie Sie sie beenden würden. Das eine ist: Das Lernen von Transformation / Veränderung fällt leicht, wenn?

AB: wenn wir es nicht alleine machen müssen und wenn wir uns auf diesem Weg nicht nur unterstützt fühlen, sondern das auch vielleicht noch mit anderen Vorteilen verknüpfen können, wie: wir fühlen uns im Prozess und danach besser.

ML: Und: BNE lohnt sich für Bildungseinrichtungen, weil?

AB: weil es an die Lebenswelt der Menschen anknüpft, weil es sie ohnehin umtreibt und deswegen auch sinnvoll erscheint.

ML: Ja wunderbar. Herzlichen Dank, Frau Dr. Brock. Das fand ich ein sehr interessantes Gespräch.

AB: Ich danke.

ML: Mir ist klarer geworden, dass wir lernen müssen, anders zu lernen und auch zu lehren: offener, experimenteller und eigene Erfahrung ermöglichen und auch die Ambiguität aushalten. Und für alle, die noch ein bisschen nachlesen wollen, empfehlen wir unter anderem verschiedene Veröffentlichungen von Gerhard Hüther, aber weitere Tipps zur Lektüre gibt es in den Shownotes auf unserer Webseite. Und nachdem wir in der ersten Folge gelernt haben, was Bildung für nachhaltige Entwicklung eigentlich ist und in dieser zweiten Folge besprochen haben, wie man Transformation vielleicht besser lernen und lehren kann, geht es dann in der kommenden dritten Folge darum, was ein professionelles BNE-Angebot ausmacht und was es dafür braucht und wie Sie das umsetzen können. Bleiben Sie neugierig. Bis bald!

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